Projektkooperation mit der University of Westminster

 Lea Schneidemesser

„Großbritannien steht nicht mehr an der Klippe des Fachkräftemangels, es ist diese bereits hinabgestürzt“ – Solche und ähnliche Schlagzeilen und Aussagen finden sich seit Monaten in Zeitungsartikeln über den Bausektor in England, Wales und Schottland. Dort verzögern sich Bauprojekte immer häufiger, nicht wegen Fehlkalkulation und Fehlplanung, sondern durch einen Mangel an Facharbeitern. Besonders Maurer und Baukalkulatoren werden händeringend gesucht und auch an Zimmerleuten  und Tischlern fehlt es.

Verschiedene Umfragen unter Unternehmern, Handwerkskammern und Industrieverbänden zeigen dramatische Entwicklungen auf. Eine Umfrage des RICS (Royal Institute of Chartered Surveyors) hat ergeben, dass Fachkräftemangel im letzten Quartal 2015 die größte Behinderung für Wachstum im Bausektor darstellte und die Löhne in dieser Branche  im Jahr 2015 um 6% gestiegen sind – drei Mal so stark wie im nationalen Durchschnitt. Für ungefähr 12.000 Arbeitsplätze im Bausektor konnten 2015 nicht – oder nur mit Schwierigkeiten – geeignete Kandidaten gefunden werden, was mehr als doppelt so viele freie Stellen waren wie noch zwei Jahre zuvor. Nach Angaben der LGA (Local Government Association) wurden im Jahr 2015 eine halbe Million Häuser trotz vorhandener Baugenehmigung und gesicherter Finanzierung nicht gebaut, was eine Steigerung von mehr als 20% im Vergleich zu 2013 darstellt.

Diese Entwicklungen sind im Bausektor landesweit zu spüren und machen sich auch für die Bevölkerung bemerkbar durch steigende Mieten und Immobilienpreise. Die Industrie kann den Bedarf an neuem Wohnraum nicht mehr decken. Besonders in London sind die Auswirkungen des Fachkräftemangels spürbar. Dort sind Kosten für Bauarbeiten 2015 um 10% gestiegen, was dazu geführte, dass große Londoner Bauunternehmen risikoreiche Bauprojekte nicht mehr betreuen wollen und nur noch jedes zweite Angebot für ein Bauprojekt annehmen können. In Europas Stadt der teuersten Mietpreise, mit ohnehin chronischem Wohnungsmangel, verschärft dies die Wohnsituation zusätzlich und treibt Mieten immer weiter in die Höhe.

Diesen Berichten und Studien zufolge hat Großbritannien und insbesondere London es mit einem manifesten Fachkräftemangel im Bausektor zu, der das Wachstum der Branche einschränkt und den Wohnungsmangel verschärft. Für das rebeko-Projekt ist der Bausektor in London ein spannendes Untersuchungsfeld, da der Fachkräftemangel dort Ausmaße angenommen hat, deren Gefahren jede Region – und so auch Ostthüringen – möglichst frühzeitig diskutieren sollte um geeignete Maßnahmen für deren Vermeidung zu ergreifen. Durch eine Forschungsreise nach London im Oktober und Gespräche mit unterschiedlichsten Akteuren im Bausektor vor Ort – Unternehmen, Wissenschaftler, Gewerkschaftler und Vertreter von Verbänden – sollen wichtige Erfahrungen aus Großbritannien für die Projekt- und Netzwerkarbeit in Ostthüringen gewonnen werden. Von besonderem Interesse sind dabei die Formen, mittels deren die Akteure vor Ort über innovative Maßnahmen (Unternehmenskooperationen, Qualifizierungsmaßnahmen) versuchen, dem Fachkräftemangel zu begegnen.