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Tagungsbericht zum Nachlesen

Mehr als 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik diskutierten auf der Auftaktveranstaltung des Projekts rebeko am 21. Januar in Jena angeregt über die Frage, wie Unternehmen und andere Akteure in Ostthüringen die Herausforderungen des demografischen Wandel erfolgreich meistern können. Im Zentrum der Tagung stand die Frage, ob die insgesamt positive Entwicklung der Wirtschaft und des Thüringer Arbeitsmarktes durch den demografischen Wandel gefährdet sind. Ob tendenziell von einem Fachkräftemangel bzw. Fachkräfteengpässen gesprochen werden kann, wie sich diese Entwicklungen für die Betriebe äußern und welche Gegenmaßnahmen es zu ergreifen gilt, waren nur einige der Fragen, die es zu diskutieren galt. Diese wurden in vier Panels, u.a. mit Beteiligung von drei Thüringer Unternehmen praxisnah erörtert.

Die Arbeitsministerin Heike Werner, Schirmherrin der Konferenz, betonte in ihrem Einführungsreferat die Bedeutung des Anliegens des rebeko Projekts. Die positive Wirtschaftsentwicklung in Thüringen stellt sowohl die Unternehmen als auch die regionalen Arbeitsmarktakteure vor neue Herausforderungen. Um die Attraktivität der Arbeitsplätze in der Region beizubehalten, erlangt die Ausgestaltung der Arbeitsplätze neue Bedeutung. Die Arbeitgeber können dabei von einer verstärkten Zusammenarbeit, z.B.  durch die Einrichtung von Fachkräftepools und die Bildung von regionalen Netzwerken, profitieren. Die Auftaktkonferenz verfolgte daher auch das Ziel, eine nachhaltige Kooperation verschiedener Akteure in der Region anzustoßen. Die Gründung eines regionalen Demografienetzwerks ist eine wesentliche Zielstellung des rebeko Projektes.

Prof. Dr. Klaus Dörre von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Projektleiter von rebeko ging in seiner Keynote auf die zentralen demografischen Entwicklungen und Herausforderungen für Thüringen ein. Viele Jahrzehnte existierte ein hohes Potenzial an Fachkräften, weshalb die Unternehmen zwischen zahlreichen Bewerberinnen und Bewerbern auswählen konnten. Ohne dass von einem allgemeinen Mangel an Arbeitskraft die Rede sein könne stehe doch fest, so Dörre, dass die Konstellation eines Überangebots an qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern („Fachkräfteparadieses“) nicht länger Gültigkeit beanspruchen könne (siehe Thesen zum demografischen Wandel auf www.rebeko.uni-jena.de). Für die Unternehmen existieren eine Fülle von Gestaltungsoptionen, diese werden in Rahmen des Projekts näher bestimmt und praktisch erprobt. Bevölkerungszuwächse und -abgänge manifestieren sich regional ganz unterschiedlich, auch innerhalb Thüringens gibt es wachsende Städte und eher periphere Regionen. Für die Akteure kommt es entsprechend darauf an, präzise Kenntnisse der jeweiligen Handlungsbedingungen „vor Ort“ zu gewinnen. Prof. Dr. Dörre resümierte, dass die demografischen Veränderungen auch als Chance betrachtet werden sollten. Sie können neue Impulse für eine verbesserte Qualität der Arbeit setzen, neue Initiativen für eine gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die Integration von Geflüchteten anstoßen.

Im ersten Panel zum Zusammenhang zwischen demografischer Entwicklung und Fachkräfteangebot hoben die Referentinnen und Referenten die Bedeutsamkeit des Themas hervor, setzten  jedoch unterschiedliche Akzente. Prof. Dr. Joachim Ragnitz vom ifo Institut Dresden zeigte auf, dass die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Rationalisierungspotenziale der Digitalisierung ein weiteres Wirtschaftswachstum auch mit weniger Beschäftigten erlaubten. Die Pressesprecherin der BA-Regionaldirektion Anja Huth betonte die markanten regionalen Disparitäten in der Arbeitsmarktentwicklung und warnte entsprechend vor zu allgemeinen Diagnosen. Die Arbeitsmarktintegration von bisher nicht ausreichend berücksichtigten Gruppen stelle weiterhin eine zentrale Aufgabe dar, auf unmittelbare Angebotsengpässe ist sie aber nicht immer passend. So bleibe die betriebliche Integration von Langzeiterwerbslosen weiterhin schwierig. Die Integration von Geflüchteten sah Frau Huth für Thüringen eher mittel- bis langfristig als Chance. Frau Huth und Frau Dr. Michaela Fuchs vom IAB Nürnberg kalkulierten, dass für eine erfolgreiche Eingliederung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt ein Zeitraum von fünf bis zehn Jahren veranschlagt werden muss. Prof. Dr. Michael Behr vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie sah dagegen in der Zuwanderung eine große Chance. Er betonte er die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen in dieser Richtung, denn  Thüringen habe sein „internes“ Arbeitskraftpotenzial in den letzten Jahren zielgerichtet genutzt und kaum noch ungenutztes Reservoir. Ohne systematische Anstrengungen auch im Bereich der Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten werde der Fachkräftemangel in einigen Regionen zu einer schweren Bürde für die weitere wirtschaftliche Entwicklung.  Betriebsschließungen als Resultat eines Fachkräftemangels könnten nicht ausgeschlossen werden. Die regionalen Differenzierungen würden zukünftig noch größer, Tendenzen einer „Kannibalisierung“ zwischen den Regionen drohten. Dabei werden sich  vor allem die großen Städten Eisenach, Weimar, Erfurt und Jena positiv entwickeln, prognostizierte Professor Behr.

Im anschließenden Panel „Was folgt aus dem demografischen Wandel für die Gestaltung von Arbeit und Personalpolitik?“ gingen die Referentinnen und die Referenten  auf den steigenden Bedarf an Facharbeiterinnen und Facharbeitern ein. Anke Kalb (LEG/ThAFF) sah die größten Chancen bei der Ausbildung von Jugendlichen, denen eine Perspektive gegeben und die Ausbildungschancen in der Region aufzeigt werden müssten. Frau Roswitha Weitz (IWT) stellte in ihrem Beitrag die Fachkräfteentwicklung und ein zukunftorientiertes Personalmanagement in den Vordergrund. Dr. Detlef Gerst von der IG Metall betonte die Chancen bei der Integration von älteren Beschäftigten und bot einen Einblick in die Gestaltung alternsgerechter Arbeit. Die Vorstellung, man verliere mit dem Alter an Leistungsfähigkeit („Defizithypothese“) ist weiterhin weit verbreitet. Diese Annahme widerlegte er in der Vorstellung einiger aktueller Studien. Für Ingo Singe von der Friedrich-Schiller-Universität Jena sollten die Akteure im Feld Facharbeit als regionales Kollektivgut begreifen und bei der Arbeits- und Personalpolitik stärker subjektorientiert vorgehen. Angesichts veränderter Arbeitsmarktkonstellationen müssten Unternehmen genau wissen, was sie in  den Augen (potenzieller) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiv mache — neben Entgeltfragen seien z.B. auch Beteiligungsmöglichkeiten im Unternehmen ein wichtiger Faktor.

Die demografischen Herausforderungen im Betrieb wurden durch drei betriebliche Akteure praxisnah dargestellt. Uwe Helmsdorf, Geschäftsführer der Köstritzer Schwarzbierbrauerei GmbH beschrieb, wie sich das Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber positioniert:  gute Arbeitsbedingungen, kontinuierliche Investitionen in Ausbildung und die Übernahme von Auszubildenden sind wesentliche Merkmale einer Strategie, die dazu beiträgt, junge Menschen für das Unternehmen zu interessieren und eine äußert geringe Fluktuation zu gewährleisten. Zukünftig will das Unternehmen sich noch intensiver in der Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen engagieren, damit die Beschäftigten bis in Rentenalter gesund und motoviert bleiben. Auch Frau Juliane Weyher, Personalreferentin der Electronicon GmbH, verwies auf die Notwendigkeit eines hohen Ausbildungsengagements, schließlich seien selbst über die Arbeitnehmerüberlassung kaum noch passende Fachkräfte zu gewinnen. Das Unternehmen möchte das betriebliche Gesundheitsmanagement optimieren und sieht in der verstärkten Kooperation mit Schulen eine Möglichkeit, geeignete Jugendliche für eine Ausbildung zu gewinnen. Auch Jan Schubach, Geschäftsführer der POG GmbH, betonte den Rückgang der Bewerbungszahlen. Noch sei die Situation für das Unternehmen nicht bedrohlich,  da die Optikindustrie eine Nischenbranche sei und der Betrieb eine starke öffentliche Präsenz aufgebaut hat und so für potenzielle Auszubildende gut wahrnehmbar sei. Das Unternehmen POG engagiert sich seit Jahren intensiv und kontinuierlich in der Ausbildung. Bedeutsam sei, so Schubach, ein betriebliches Wissens- und Kompetenzmanagement, das dazu beitrage, Wissen auch dann für das Unternehmen zu sichern, wenn ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Unternehmen in den Ruhestand verließen. Alle drei betrieblichen Akteure betonten die Notwendigkeit eines intensiven Austausches zwischen den verschiedenen mit den demografischen Herausforderungen konfrontierten Akteuren und einen einfachen Transfer von Best-Practice-Lösungen. Aus gewerkschaftlicher Perspektive ergänzte Christl Semmisch als Geschäftsführerin der NGG ihre positiven Erfahrungen mit demografieorientierten Betriebsvereinbarungen, Wolfgang Anlauft vom ffw Nürnberg ergänzte Beispiele der vom ffw durchgeführten betrieblichen Gestaltungsprojektemöglichkeiten und zeigte Transfermöglichkeiten der entwickelten Analyse- und Gestaltungsverfahren in andere Unternehmen auf.  

In der Abendveranstaltung stellten Tomas Marklund, Bürgermeister von Skellefteå, und Jan Midlert, Bildungsbeauftragter der schwedischen Gemeinde das Projekt „Skellefteå 2030“ vor. Das Konzept sieht vor, Fachkräfte für die schwedische Gemeinde zu gewinnen und dauerhaft zu halten. Somit soll den Herausforderungen des demografischen Wandels in einer ländlichen Region in Nordschweden begegnet werden. Mit ihrem Programm wird beispielsweise der Ausbau der öffentlichen Erwachsenenbildung finanziert. Insbesondere berichteten sie von der erfolgreichen Integration von Geflüchteten durch ein intensives Betreuungskonzept. Die Gemeinde wird zukünftig mit dem rebeko Projekt kooperieren und als europäische Modellregion Best-Practice-Beispiele und Anregungen für eine Umsetzung in einem Thüringer Netzwerk liefern.

Im anschließenden Panel „Wie viel Zuwanderung braucht der Thüringer Arbeitsmarkt?“ bekräftigten Frau Mirjam Kruppa, Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge und Frau Birgit Becker (Agentur für Arbeit, Jena), dass Geflüchtete ein relevantes Arbeitskraftpotenzial. Dies erfordere jedoch passgenaue und intensive Unterstützungsmaßnahmen. Notwendig seien eine zügige Feststellung des Qualifikationsniveaus und die Anerkennung von Berufsabschlüssen. Auch Thomas Klippstein, Konzernbetriebsrat von Jenoptik, sah für seinen Betrieb gute Möglichkeiten der Arbeitsmarktintegration, jedoch sei entscheidend, dass die Geflüchteten eine geeignete Qualifikation vorweisen können. Dr. Lenore Kahler von MobiPro betonte die Komplexität von Integrationsprozessen. Es müsste mehr Spielraum und Flexibilität in den Schulen und Ausbildungsstätten geben, um auch individuell unterstützen zu können. Steffen Jacobi vom Landesnetzwerkt Thüringen im Förderprogramm IQ bestärkte diese Position, bei dem Lehrer speziell in den Berufsschulen auf Flüchtlinge eingehen und neue Formen die klassische Ausbildung ergänzen sollten. Auch im Aufgabenfeld der Integration von Geflüchteten erscheint eine intensivierte Kooperation verschiedener Akteure unbedingt angezeigt.

Die rege Beteiligung der regionalen Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik bei der Auftaktveranstaltung verdeutlicht die Relevanz des Themas. Ein erster wichtiger Schritt zum regionalen Austausch wurde mit der Konferenz beschritten. Viele waren sich nach Ende der Tagung einig: es wird sich lohnen, diesen Weg in Zukunft weiter zu bestreiten.